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Text: Fabienne Jacomet
Bilder: Fabienne Jacomet, Melanie Duchene
Videos: Roberta Fele

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Das Summerwis-Debakel

Oder wie eine kleine Gruppe es geschafft hat, ein wichtiges Bauprojekt über Jahre zu verzögern

Vor bald fünf Jahren hat das Parlament beschlossen, eine Notunterkunft in der Summerwis zu bauen. Doch der Bau kam bis heute nicht zustande, weil eine Gruppe von Anwohnerinnen und Anwohnern sich gegen das Projekt wehrt.

Fabienne Jacomet





Man findet sicher immer irgendwo etwas, das man besser machen könnte. Wenn man jedoch immer auf Besseres wartet, dann sind wir gestorben. Damit ist den betroffenen Menschen überhaupt nicht gedient. Allenfalls müssen sie dann von einem Provisorium ins andere wechseln.

Der ehemalige Grossstadtrat Rainer Schmidig (EVP) an der ersten Sitzung der Spezialkommission zur Vorlage «Zukunft Soziales Wohnen» am 4. März 2020

Ein umgekipptes Baugespann, verwildertes Gestrüpp – das ist alles, was nach fünf Jahren vom geplanten Bau der Notunterkunft in der Summerwis übrig ist. Der Streit um die Parzelle ist längst zu einem Schaffhauser Dauerkrimi geworden.

Dabei hätte es so einfach werden sollen.

Am 30. Juni 2020 nimmt der Grosse Stadtrat die Vorlage «Zukunft Soziales Wohnen» mit 32 zu 3 Stimmen klar an. Auf der ehemaligen Deponie in der Summerwis soll die neue Notunterkunft entstehen. Diese wird sehnlichst erwartet, muss sie doch von ihrem aktuellen Standort auf dem Geissberg weg.

Blick auf die Parzelle, die seit fünf Jahren für Streit sorgt. Bild: Melanie Duchene

Etwas mehr als ein Jahr später reicht die für das Vorhaben gegründete Stiftung Summerwis das Baugesuch für die Parzelle gleich neben dem Klubhaus des Judo Clubs Schaffhausen ein. Die Notschlafstelle zog 2021 in ein Provisorium an der Lochstrasse 69. Und Ende 2025 wird erneut umgezogen – an die Mühlentalstrasse, in ein grösseres Provisorium. Dabei hätte der Neubau in der Summerwis 2022 in Betrieb genommen werden sollen. Gestoppt wurde das Vorhaben durch Rekurse von Quartierbewohnern, die sich nicht ernst genommen fühlen und kein Vertrauen mehr übrig haben.









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Kapitel

Was ist geschehen und wie konnte es so weit kommen? Eine Rekonstruktion in 7 Kapiteln.



Kapitel 1

Die Gegnerschaft: Bereit, alles zu tun, um das Projekt zu verhindern











Wir sind nicht einfach die Asozialen, die gegen Bedürftige sind.

Mitglied der Kerngruppe der Gegner

Die Gegner des Projekts haben grundsätzlich zwei Einwände. Zum einen sorgen sie sich um ihre Sicherheit – die Notunterkunft ist für Menschen am Rande der Gesellschaft gedacht. Sie wollen diese nicht in ihrer Nachbarschaft.

In Zusammenhang mit der Notunterkunft gab es bisher allerdings noch keine negativen Vorkommnisse.

Anruf bei einem Mitglied der «Kerngruppe» der Gegner des Bauprojekts: Schnell wird ersichtlich, hier hat sich Wut angestaut. Zuerst will das Mitglied nicht sprechen, wird laut, sagt, es sei nie die ganze Geschichte veröffentlicht worden. Dann fliesst es nur so aus ihm heraus: «Wir sind nicht einfach die Asozialen, die gegen Bedürftige sind.» Die Stadt wolle sie so darstellen. Diesen Satz wird das Mitglied der Kerngruppe immer wieder aussprechen.

Es gehe der Gegnerschaft auch darum, dass auf einer Deponie gebaut werden soll. Über eine Stunde dauert das Gespräch, es wird nicht das letzte sein. Und man merkt: Hier hat sich jemand intensiv mit der ehemaligen Deponie auseinandergesetzt. Aber: Die Gruppe werde als Kollektiv schriftlich auf die Fragen der SN antworten. «Wir gehen davon aus, dass wir das Bauvorhaben nicht bekämpfen müssten, würde es sich um eine Kita handeln. Es käme niemand auf die Idee, eine solche Institution auf einer Deponie zu realisieren», heisst es in dem dreiseitigen Schreiben. Die Kerngruppe ist sich sicher, die ehemalige Deponie gehört saniert, ehe darauf gebaut wird.

Der Stadtrat hat sich bewusst dem Dialog entzogen, da er davon ausging, dass sich die Opposition in Grenzen halten würde, und er grosses Aufsehen vermeiden wollte.

die Kerngruppe der Gegner

Die Stadt habe die Ängste der Anwohnenden nicht ernst genommen, Anliegen und Forderungen ignoriert, so die Kerngruppe. Die Gruppe habe sich mehrmals via eingeschriebenen Brief an die Stadtregierung gewandt – und «bis zum heutigen Zeitpunkt keine Antwort erhalten». Zwei dieser Briefe liegen den SN vor, die Kerngruppe fragt darin unter anderem, wie die Sicherheit im Quartier gewährleistet werden soll.

Bild: Melanie Duchene

Weiter bemängelt die Gruppe die Art der Kommunikation. Über das Bauvorhaben sei man mittels Flyers informiert worden – «im Briefkasten am 21.12.2019». Darin der Hinweis auf eine Infoveranstaltung am 7. Januar 2020. «Wir unterstellen dem Bauherrn wie auch der Stadt eine Absicht in der sehr kurzfristigen Terminierung.» Es sei ja klar, dass sich über die Festtage nicht alle intensiv mit einem solchen Thema auseinandersetzen können, so das Mitglied der Gruppe am Telefon. «All unsere Bemühungen, Vorschläge et cetera wurden nicht gehört und auch nicht in das Projekt aufgenommen», so die Gruppe. «Der Stadtrat hat sich bewusst dem Dialog entzogen, da er davon ausging, dass sich die Opposition in Grenzen halten würde, und er grosses Aufsehen vermeiden wollte.»

Doch wieso fühlt sich die Gruppierung nicht ernst genommen? Schliesslich gab es durchaus einen Austausch zwischen der Stadt und den Anwohnenden. Ein Protokoll einer Sitzung zur Mitwirkung Summerwis im März 2021 liegt den SN vor. Darin wird das Ziel beschrieben: «Die Grundlage zu schaffen für den Turn-Around weg von der Verhinderung, hin zur Lösungsorientierung.»

Doch es kommt knüppelhart: Die Gegnerschaft zeigt sich mittlerweile bereit, vor Bundesgericht zu gehen. «Turn-Around» verfehlt.



Kapitel 2

Der Stadtrat: Enttäuschung und Unverständnis











Die Verzögerungen verursachen Probleme und Kosten, und Menschen in Notlagen – also vulnerable Personen – werden stigmatisiert. Das ist bedenklich.

der Stadtrat

Was ist an den Vorwürfen der Gegnerschaft dran? Sozialreferentin Christine Thommen antwortet gemeinsam mit Stadtpräsident Peter Neukomm, Finanzreferent Daniel Preisig und dem heutigen Ständerat und ehemaligen Sozialreferenten Simon Stocker. Es treffe nicht zu, dass sich der Stadtrat dem Dialog entzogen habe. «Im Gegenteil: Es wurde informiert, es fand ein breiter Beteiligungsprozess unter Begleitung der Fachhochschule Ost statt. Selbst unter erschwerten Bedingungen während der Pandemie wurden Online-Treffen veranstaltet und die Anwohnerschaft konnte sich einbringen und tat das auch.» Die eingebrachten Ängste seien erfasst worden, die Herangehensweise erläutert worden. «Und entsprechende Begleitmassnahmen, soweit im aktuellen Zeitpunkt schon möglich, auch bereits umgesetzt worden.»

Die Gegnerschaft habe sich auf vielen Kanälen eingebracht, die Stadt und die Stiftung Summerwies hätten ihr viel Raum gegeben, ihre Ängste zu kommunizieren. Simon Stocker «stand an einer Informationsveranstaltung Rede und Antwort, seine Nachfolgerin, Stadträtin Christine Thommen, hat den Mitwirkungsprozess angestossen». Auch der Grosse Stadtrat setzte sich mit den Sorgen der Anwohnenden auseinander: Er behandelte diesbezüglich eine Petition, die die Gegnerschaft 2020 eingereicht hatte. «Dass Briefe verloren gegangen sein sollen, entzieht sich unserer Kenntnis.»

Aus dem Verlauf des Mitwirkungsprozesses muss man leider ableiten, dass die einzige von der verbleibenden Gegnerschaft akzeptierte Lösung ein Verzicht auf das Projekt darstellt. Dies ist für die Stadt keine Option.

der Stadtrat

Das Projekt sei kommuniziert worden, als es vom Projektstand und Informationsgehalt her Zeit dazu gewesen sei. Die Einladung zur Informationsveranstaltung sei am 17. Dezember 2019 verteilt worden, also drei Wochen vor der Veranstaltung.

«Aus dem Verlauf des Mitwirkungsprozesses muss man leider ableiten, dass die einzige von der verbleibenden Gegnerschaft akzeptierte Lösung ein Verzicht auf das Projekt darstellt. Dies ist für die Stadt keine Option.» Die Stadt sei optimistisch in dieses Projekt gestartet. «Zumal sie über 30 Jahre diese Notunterkunft an einem sensiblen Ort beim Kantonsspital neben einer Kinderkrippe geführt hat, ohne dass sich die Anwohnerschaft jemals beklagt hätte.» Spätestens aufgrund der Rekurse müsse der Schluss gezogen werden, dass die Mitwirkung von einzelnen Gegnern primär dazu genutzt worden sei, das Projekt zu verzögern respektive zu verhindern.

«Ein Projekt zu verhindern, nur weil man bestimmte Quartierbewohnerinnen und Quartierbewohner ablehnt, ist sozialethisch fragwürdig.» Die Stadt benötige eine Einrichtung für Menschen in Notlage und müsse ein entsprechendes Angebot zur Verfügung stellen. Es sei enttäuschend, dass sich die Haltung der Gegnerschaft trotz des Mitwirkungsprozesses nicht geändert hat. «Die Verzögerungen verursachen Probleme und Kosten, und Menschen in Notlagen – also vulnerable Personen – werden stigmatisiert. Das ist bedenklich.»

Wie konnten sich die Fronten so verhärten?



Kapitel 3

Der politische Prozess: In falscher Sicherheit gewiegt?











In der Vorlage war von Anfang an der Wurm drin.

Urs Tanner, Grossstadtrat, damals Teil der Spezialkommission

Es ist der 17. Dezember 2019, der Stadtrat präsentiert die Vorlage «Zukunft Soziales Wohnen» – federführend ist der damalige AL-Sozialreferent Simon Stocker. Gemeinsam mit Finanzreferent Daniel Preisig stellt er sich im März 2020 der Spezialkommission des Grossen Stadtrats an zwei Sitzungen. Die SN haben die Protokolle der beiden Sitzungen eingesehen. Stocker erklärt an der Sitzung, welche Standorte geprüft wurden, und auch die Altlasten im Boden sind Thema, er verweist dabei auf Aktennotizen des Interkantonalen Labors (IKL) aus den Jahren 2001 und 2008, die die Parzelle als «weder überwachungs- noch sanierungsbedürftig» beschreiben.

Bild: Melanie Duchene

«Wichtig ist hier zu sehen, dass in der Stufe Baugesuch mit dem Interkantonalen Labor (IKL) zusammen nachgewiesen werden muss, was geschieht, wenn auf diesem Grundstück eine Belastung vorhanden ist, und was unternommen wird. Das geschieht nicht im Baurechtsverfahren.» Die Vorlage sieht lediglich die Baurechtsabgabe an die Stiftung Summerwis vor. Christoph Schlatter (SP) äussert Kritik: «Macht man dies normalerweise nicht vorgängig, um überhaupt zu wissen, ob dort gebaut werden kann?» Es sei eine Frage der Risikoabschätzung, sagt Preisig.

Es kann zu diesem Zeitpunkt also nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden, dass der Standort nicht doch komplett saniert werden muss, bevor die Stiftung mit dem Bau loslegen kann. Geplant ist aber eine Bodenplatte, die Versickern von Wasser in den belasteten Boden verhindern soll. Zudem soll das Gebäude nicht unterkellert werden. Die Kommission einigt sich auf eine zweite Sitzung, in der jemand vom IKL mehr zu den Altlasten erklären soll.

So könnte der Neubau aussehen. Bild: zVg

«Man findet sicher immer irgendwo etwas, das man besser machen könnte. Wenn man jedoch immer auf Besseres wartet, dann sind wir gestorben. Damit ist den betroffenen Menschen überhaupt nicht gedient. Allenfalls müssen sie dann von einem Provisorium ins andere wechseln», befindet Rainer Schmidig (EVP) zum Ende der ersten Sitzung.

Der Betrag dieser Altlastensanierung müsste enorm hoch sein, dass wir sagen, wir lassen dieses Grundstück so sein.

Finanzreferent Daniel Preisig in der Sitzung der Spezialkommission

Die zweite Sitzung findet am 27. Mai 2020 mit Ausführungen des IKL statt. Die Untersuchungen, auf die man sich stütze, seien zwar schon älter, man gehe aber «davon aus, dass diese noch richtig sind, solange keine neuen Hinweise anfallen». Bisher seien keine Auswirkungen auf das Grundwasser oder Oberflächengewässer festgestellt worden. Es sollte aber vor dem konkreten Bauprojekt eine aktuelle Grundwasserprobe untersucht werden – denn heute untersucht man auf mehr Schadstoffe als früher. Man habe bisher auf eine solche Untersuchung verzichtet, weil es aufgrund einer Risikoabschätzung, die auf Basis der Akten gemacht wurde, nicht nötig gewesen sei, erklärt Finanzreferent Preisig. «Bauprojekte sind nie risikolos.» Sollten doch Altlasten zum Vorschein kommen, muss die Stiftung die Sanierung bis 50’000 Franken bezahlen, alles darüber die Stadt. «Der Betrag dieser Altlastensanierung müsste enorm hoch sein, dass wir sagen, wir lassen dieses Grundstück so sein», Preisigs Fazit.

Am Schluss stimmt die Kommission der Vorlage mit 7 zu 1 Stimmen bei einer Abwesenheit zu. Und auch in der Grossstadtratssitzung vom 30. Juni 2020 gibt es keine weiteren Einwände wegen der Altlasten. Der Boden soll erst mit der Baubewilligung erneut untersucht werden.

Das ging strategisch in die Hose.

Urs Tanner, Grossstadtrat, damals Teil der Spezialkommission

In der Spezialkommission sass auch Urs Tanner, damals SP, heute PUSH. «In der Vorlage war von Anfang an der Wurm drin», sagt er heute. Die SP hatte, bevor die Vorlage überhaupt in die Kommission kam, schon kommuniziert, dass sie darauf nicht eintreten werde – das sorgte für Unruhe. Der Entscheidung war ein Streit mit der AL vorangegangen. «Das ging strategisch in die Hose», so Tanner. «Am Ende waren alle gegen die SP, rechts ist auch aufgesprungen, und dann war die Sache gelaufen.» So ganz verkraftet zu haben scheint Tanner diesen Ausgang nicht. Er hat bereits mehrere Vorstösse zum Thema Summerwis eingereicht (jeweils mit Titel «Summerwis, quo vadis? Teil xy» – inzwischen sind wir bei der dritten Anfrage). Darin macht er jeweils auch klar, dass die Vorlage von Simon Stocker stammte.

Trotz dem angeblichen «Wurm» in der Vorlage wird sie glasklar angenommen, der Knatsch scheint vergessen, aber eigentlich geht er mit der Annahme des Projekts erst richtig los. Hätte die Angriffsfläche für die Gegnerschaft verkleinert werden können, wenn man den Boden vorgängig nochmals untersucht hätte?



Kapitel 4

Die Deponie: Ein Polizeirapport und ein Zeitzeuge ermöglichen den Blick in die Vergangenheit













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Standorte im Kanton Schaffhausen sind belastet

Die Deponie in der Summerwis ist einer von über 300 im Altlastenkataster aufgeführten belasteten Standorten im Kanton Schaffhausen. Laut IKL wurde sie 1946 angelegt und um 1970 geschlossen und rekultiviert.

Besuch im Stadtarchiv Schaffhausen: Es scheint keine exakten Aufzeichnungen zu geben betreffend die Stoffe, die dort abgelagert wurden. Ein alter Polizeirapport gibt aber Aufschluss – und sorgt bei den Gegnern des Bauprojekts für Wut:

Die Deponie mit samt ihrem «Tümpel» 1966. Bilder: zVg/Stadtarchiv Schaffhausen

Klar zu erkennen sind Reifen und Fässer – was darin enthalten war, ist nicht dokumentiert.

Der Rapport stammt vom 28. Februar 1966, trägt den Titel «Gewässerverschmutzung» und beschreibt, was drei Tage vorher in der Summerwis vorgefunden wurde: Fässer, Pneus und Kehricht, Glas- und Blechabfälle in einem «Tümpel», der ständig Wasser führt, das dann in den Hemmentalerbach fliesst. Im Polizeirapport ist zwar kaum Text vorhanden – es ist auch nicht dokumentiert, was nach Ausrücken der Polizei passiert ist. Aber es sind einige Fotos angehängt, die das Ausmass der Deponie zeigen. «Dauer dieses Zustandes: Seit ca. 1963», steht im Rapport.

Besuch bei einem Zeitzeugen. Peter Vogt, Jahrgang 1950, zog mit acht Jahren in die Summerwis. Er mag sich noch erinnern, wie er die Deponie damals als Junge wahrgenommen hat: «Wir haben als Kinder oft in der Gegend gespielt, und gesehen, dass dort zum Beispiel Batterien oder Farbe entsorgt wurden», sagt er. Er habe kaputte Spielzeugautos in der Deponie gefunden und wieder zum Laufen gebracht – auch ein Gewehr hätten die Kinder gefunden. Und manchmal hätten sie dort auch ein Feuer gemacht – «Buebestreichli» eben.

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Ratten, Feuer, Batterien: Im Audio erzählt Peter Vogt von seinen Erinnerungen an die Deponie.

Laut Recherchen des Stadtarchivs wurde die Deponie 1973 geschlossen. Weitere Dokumente lassen sich nicht finden, abgesehen von einem Stadtratsbeschluss vom 13. Juni 1977. Dort ist zu lesen, dass die Vergabe der «Bauarbeiten für die Umdeponierung des Ablagerungsplatzes Sommerwies» beschlossen wurde. Wie genau das vonstattenging, ist nicht dokumentiert – was sich also alles noch im Boden befindet, kann nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden.



Kapitel 5

Die Deponie: Was heute davon übrig ist











Der Hemmentalerbach führt an diesem Nachmittag im September – wie so oft – kein Wasser.

«Gehen Sie doch selbst mal schauen. Sie müssen nur dem Bachbett entlanggehen, da können Sie haufenweise Plastik und Metall aus dem Boden ziehen», sagt das Mitglied der Kerngruppe am Telefon. Es gebe sogar ein altes Velo zu sehen, Pneus sowieso.

Also los.

Der Hemmentalerbach führt an diesem Nachmittag im September – wie so oft – kein Wasser. Überquert man die Brücke direkt neben der Bushaltestelle «Sommerwies» und huscht vorsichtig an den Brennnesseln vorbei, die oben am Bach wachsen, gelangt man einfach hinunter ins Bachbett. Danach sind es etwa 150 Meter, bis man die Höhe der Deponie erreicht. Nur die vielen Stechmücken erinnern daran, dass hier ab und an ein Gewässer fliesst. Relativ schnell trifft man auf Abfall im Bachbett, es liegt auch ein Stück eines alten Pneus auf den Steinen. Auch Drainagerohre sind sichtbar, das alte Velo nicht.

Das Stück eines alten Pneus liegt im Bachbett. Bilder: Fabienne Jacomet

An manchen Stellen steckt Abfall im Boden fest – er lässt sich nicht so einfach rausziehen.

Plastiksäcke gibt es zu Hauf – nur, wie lang liegen sie schon da und von wo kommen Sie?

Dieselbe Frage stellt sich bei der verblassten Coladose.

Drainagerohre lassen erkennen, dass hier die Deponie liegt.

Streift man zwischen dem Gestrüpp am Hang auf der Seite der Deponie hindurch, lassen sich tatsächlich teils zerfallene Plastiksäcke finden, die teilweise mit Erde überdeckt sind. Metallstücke stecken im Boden, teils sind sie mit Moos bewachsen, und irgendwo liegt eine verblasste Coladose – solche sind seit mehr als 50 Jahren erhältlich. Doch bei all diesen Stücken stellt sich die Frage: Wie lange sind sie schon da? Stammen sie tatsächlich von der Deponie oder wurden sie irgendwann im Laufe der Zeit vom Bach hierhergeschwemmt? Fragen, auf die man keine abschliessenden Antworten erhalten wird. Aber wie schlimm wäre es denn nun, wenn hier jemand über diesem Abfall wohnen würde?



Kapitel 6

Der Boden: Belastet, aber auch gefährlich?











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Kubikmeter – auf dieses Volumen wurde die Deponie geschätzt



Am 13. Februar 2003 wird die Deponie in den Altlastenkataster aufgenommen und erhält den Status: «weder Überwachungs- noch Sanierungsbedarf». Das Deponievolumen wird damals auf etwa 80’000 Kubikmeter geschätzt. Laut dem Katastereintrag beinhaltet die Deponie «Kehricht, Gewerbeabfälle, Bauschutt, Aushub, Sperrgut». Von Pneus, wie sie auf alten Aufnahmen klar zu erkennen sind, ist nicht die Rede, überhaupt scheint sie niemand anzusprechen. Und genau das verärgert die Kerngruppe, denn die Pneus könnten viele Schadstoffe enthalten.

Bild: Melanie Duchene

Laut Rebekka Reichlin vom Bundesamt für Umwelt gehören Altreifen erst seit 2006 zur Klasse der kontrollpflichtigen Abfälle. Als die Deponie im Altlastenkataster aufgenommen wurde, gab es also noch keine spezifische Regelung für die Entsorgung von Altreifen. Das könnte erklären, weshalb sie nicht aufgelistet wurden.

Der Eintrag im Altlastenkataster basiert auf Untersuchungen aus 2001 und 2000, die SN haben diese Berichte eingesehen. In einem ersten Umgang wurde die Deponie anhand ihrer Historie untersucht, dabei hielt die Firma Oekogeo AG Schaffhausen fest, dass Schadstoffemissionen in die Luft nicht zu befürchten seien. Genau so wenig wie eine «Vermischung des Deponiematerials mit dem Boden». Beim Wasser jedoch sorgte sie sich:

Eine Beeinflussung des Hemmentalerbaches durch Deponiesickerwasser ist nicht erkennbar.

aus einem Bericht des IKL

Die Deponie werde nämlich von einem kleinen Bach durchflossen. Das Wasser wurde durch Drainagerohre in den Hemmentalerbach geleitet oder sickerte mit dem Grundwasser ab. Die Oekogeo AG kam zum Schluss: Eine Gefährdung des Grundwassers sei nicht auszuschliessen.

Deshalb schlug sie eine technische Untersuchung vor, welche die Stadtökologie sogleich anordnete. Dabei wurden Wasserproben aus den Drainagen und aus dem Hemmentalerbach entnommen. Das Fazit: «Eine Beeinflussung des Hemmentalerbaches durch Deponiesickerwasser ist nicht erkennbar.» Über die Auswirkungen der Deponie auf das Grundwasser wusste man noch nichts.

Es liegen keine Belege vor, dass diese Abfälle vor der Auffüllung der Deponie entfernt worden wären.

aus einem Bericht des IKL

20 Jahre, ein eingereichtes Baugesuch und eine verärgerte Anwohnergruppe später wird die Deponie im Juni 2023 wie angekündigt erneut untersucht, da die vorherigen Untersuchungen «nicht dem heutigen Stand der Technik für eine altlastenrechtliche Beurteilung entsprechen». Wieder kommt man zum Schluss: Die Deponie ist nicht sanierungsbedürftig. Nach der Untersuchung wird ausserdem davon ausgegangen, dass die Abfälle in der Bachböschung des Hemmentalerbachs nicht aus der Deponie stammen, «sondern neueren Datums sind und jeweils bei Hochwasser aus oberen Bachabschnitten angeschwemmt werden». Im Bericht von 2023 werden dann auch die Pneus erwähnt: Es seien zwar keine angetroffen worden, «es liegen aber keine Belege vor, dass diese Abfälle vor der Auffüllung der Deponie entfernt worden wären». Deshalb wird das Schadstoffpotenzial als mittel bis hoch eingestuft.

In der Regel werden aber gemäss IKL weniger Schadstoffe aus dem Boden gewaschen, wenn ein Standort überbaut wird. Es kann also ein Vorteil sein, wenn die Parzelle nicht brach bleibt.

Das Bachbett des Hemmentalerbachs liegt hinter den Bäumen rechts. Bild: Melanie Duchene

Die verunsicherten Anwohner liessen sich davon aber nicht überzeugen und gaben bei der Firma Ecosens auf eigene Kosten eine Untersuchung in Auftrag. Die Kerngruppe schreibt, die Proben würden belegen, dass «täglich Giftstoffe aus der Deponie ins Erdreich, Grundwasser und in den Hemmentalerbach fliessen». Die Ergebnisse der Untersuchung liegen den SN ebenfalls vor. Die Firma kommt darin zum Schluss: Das Schadstoffpotenzial ist eher mittel bis hoch, und die Konzentration an gewissen Schadstoffen im Grundwasser kratzt an der Grenze des noch Zulässigen.

Aber sie kratzt nur, und so kann sich die Firma der Klassifizierung des IKL anschliessen – mit einem Vorbehalt: Im Judo-Klubhaus nebenan müssten Messungen an der Raumluft gemacht werden. Aber egal, wie diese Messungen ausfallen würden: Es hätte keine Auswirkungen darauf, ob das Bauprojekt bewilligt werden kann oder nicht. Nur darauf, ob es zusätzliche Massnahmen braucht, um den Bau fachgemäss zu realisieren.

Und trotzdem kämpft die Kerngruppe weiter gegen das Projekt.

Wieso, wo doch alle Untersuchungen eindeutig scheinen? «Man hat uns nie ernst genommen.»



Kapitel 7

Ein Ausblick: Wie und wann geht es weiter – und was bleibt?











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Franken kosteten die Untersuchungen des IKL die Stadt im Baurechtsverfahren

Es sind also schon mehr als fünf Jahre vergangen seit der Infoveranstaltung über das Projekt. Noch ist das Rekursverfahren beim Regierungsrat hängig. Laut dem stellvertretenden Staatsschreiber Christian Ritzmann kann es noch mindestens drei bis vier Monate dauern, bis ein Entscheid da ist. Eine genauere Zeitangabe könne er aber nicht machen. Es heisst also weiter warten.

Während die Menschen, die eine Notunterkunft benötigen, in ein neues Provisorium ziehen werden, fallen für die Stadt mit der Bereitstellung einer Zwischenlösung für das Soziale Wohnen Mehrkosten auf unbestimmte Zeit an. In einer Antwort auf einen der Vorstösse von Urs Tanner rechnete der Stadtrat im April 2024 aus, was bisher an Kosten angefallen ist:

  • 2022 ein Betrag über 70’663.85 Franken an die Stiftung Summerwis für Projekt- und Planungsauslagen
  • Mit Beschluss vom 12. September 2023 hat der Stadtrat den ab Eintragung im Grundbuch fälligen Baurechtszins von jährlich 18’250 Franken für die fragliche Parzelle bis zur rechtskräftigen Baubewilligung, jedoch befristet auf maximal 3 Jahre, erlassen.
  • 50’000 Franken für die Untersuchungen des IKL im Baurechtsverfahren
  • Provisorium Soziales Wohnen an der Lochstrasse 69 ab Juli 2021 (befristet bis 31. Dezember 2025) sowie zusätzliche Wohnungen und eine Werkstatt für das Beschäftigungsprogramm auf dem Stadtgebiet und an der Rosenbergstrasse in Neuhausen: Einmalige Kosten in der Höhe von 64’200 Franken für Umbauarbeiten und jährliche Mietkosten von insgesamt 145’000 Franken
  • Provisorium an der Mühlentalstrasse 135: 2024 wurden 690’000 Franken für die grundsätzliche Instandhaltung und längerfristige zukünftige Nutzung durch die Stadt als Vermieterin investiert. Für die Zeit der Nutzung durch das Soziale Wohnen entstehen intern verrechnete Mietkosten von 85’340 Franken jährlich.



Zieht die Kerngruppe im Falle einer Niederlage wie angekündigt weiter, müsste als Nächstes das Obergericht über die Sache entscheiden – und dann das Bundesgericht. Es dürfte also noch eine Weile dauern, bis das Baugespann in der Sommerwies verschwindet und die Notunterkunft einen fixen Platz in der Stadt erhält.

Was auf beiden Seiten bleibt, ist Unverständnis und Enttäuschung. Und die Auffassung, dass man alles richtig gemacht hat.